Wer ist schuld an der Schmerzmittelkrise in den USA?

Wer ist schuld an der Schmerzmittelkrise in den USA?

Patrick Radden Keefe erzählt vom Aufstieg und Fall der Sackler-Dynastie und deren Rolle in der Opioidepidemie.

In den USA sind seit 1999 bereits über 450.000 Menschen durch den Missbrauch von opioidhaltigen Schmerzmitteln gestorben. Unzählige Menschen sind abhängig. Einige große Pharmaunternehmen tragen eine erhebliche Mitschuld daran: Sie haben bei der Vermarktung ihrer Produkte deren Nebenwirkungen und Risiken verschwiegen. Besonders Purdue Pharma hat sich hierbei hervorgetan, sah sich daher in den letzten Jahren wegen des Schmerzmittels und Opioids Oxycontin zahlreichen Gerichtsprozessen ausgesetzt.

Patrick Radden Keefe, Autor beim New Yorker, hat bereits 2017 in einem aufsehenerregenden Artikel die verantwortlichen Eigentümer von Purdue genannt und damit Ermittlungen losgetreten: Es waren Mitglieder der Sackler-Familie, die Oxycontin auf den Markt brachten und dabei medizinethische Bedenken missachteten. Sie täuschten Behörden und spielten die abhängig machende Wirkung des Medikaments herunter.

Nun hat Radden Keefe seine Recherche ausgeweitet. In einem spannenden und ausgezeichnet geschriebenen Sachbuch erzählt er die Geschichte der Sackler-Familiendynastie über den Zeitraum von einem Jahrhundert. Dafür spannt er den Bogen vom Familienpatriarch Arthur Sackler, der Anfang des 20. Jahrhunderts ein Firmenimperium für pharmazeutische Produkte aufbaute, bis zu seinen heutigen Nachkommen und den Gerichtsprozessen um Purdue. Im Mittelpunkt des Buches stehen die kaltschnäuzigen Marketingmethoden der Familie, die das Suchtverhalten von Schmerzpatienten einkalkulierte, um daraus Profit zu schlagen. Dafür beschäftigte sie ein Heer von Ärzten, die Oxycontin millionenfach verschrieben, ohne auf die Gefährlichkeit des Medikaments hinzuweisen. Oxycontin wurde so zum vorherrschenden Suchtmittel für vor allem ärmere amerikanische Bürger, zirkulierte auf den Drogenmärkten und diente vielen als Einstieg zum Heroin. Die Sacklers wurden schwerreich, machten sich zudem einen Namen als Philanthropen, unterstützten Forschung und Künste.

Trotz der Mauer des Schweigens, die die Sacklers umgibt, arbeitet Radden Keefe die Verantwortung der Familie in der Opioidkrise eindrucksvoll heraus. Aus Interviews, Gerichtsaussagen und internen Firmendokumenten zeichnet er das Porträt einer Dynastie, deren Angehörige eine beispiellose Skrupellosigkeit aufwiesen, um Gewinne zu erzielen. Trotz der erzählerischen Sachlichkeit Radden Keefes wird das Buch so zu einer einzigen Anklage.

Purdue hat mittlerweile Konkurs angemeldet. 2019 stimmten die Sacklers einem millionenschweren Vergleich zu – Peanuts im Vergleich zum ihrem durch die Krise gewonnenen Reichtum. Ihren guten Namen haben sie zumindest verloren. Viele von den Sacklers begünstigte Institutionen haben ihre Verbindungen zur Familie gekappt, Gebäude umbenannt und Namenstafeln entfernt.

Es bleibt zu hoffen, dass es den USA unter Bidens Präsidentschaft gelingt, den unter Corona sogar noch angestiegenen Schmerzmittelmissbrauch einzudämmen und Verantwortliche wie die Sacklers zur Rechenschaft zu ziehen. Radden Keefe hat mit „Empire of Pain“ einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Krise vorgelegt.

Patrick Radden Keefe: “Empire of Pain – The Secret History of the Sackler Dynasty”. Picador, 2021

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